Am Ziel vorbei - Die neue Prüfungsordnung Schwimmen
Eine kritische Betrachtung von Heiko Reckert
Ab dem 1. Januar 2020 gilt sie, die neue Prüfungsordnung Schwimmen/Rettungsschwimmen (PO). Damit geht eine jahrelange Hängepartie zwischen dem Bundesverband zur Förderung der Schwimmausbildung (BFS) und der Kultusminister Konferenz zuende.
In der Ausgabe 4/2019 des DLRG-Magazins „Lebensretter“ beginnt der Beitrag über die neue Prüfungsordnung mit dem Satz: „Was lange währt wird endlich gut.“
Auf dieser Ansicht fußt dann auch der ganze nachfolgende Bericht.
Er begründet, zugegeben anschaulich und in seiner begrenzten Sichtweise auch treffend, warum die neue PO die Wassersicherheit erhöhen wird.
Es wird beschrieben, dass die Änderungen in der PO zu den schwimmerischen Anforderungen der Strategie der weiteren „Entwicklung der Wassersicherheit“ folgen.
Sicher im Wasser ist nach dieser Definition nur noch, wer das Folgende kann:
• 15 Minuten ohne Halt und ohne Hilfen im tiefen Wasser schwimmen können und dabei mindestens 200 m zurücklegen.
• In Bauch- und Rückenlage schwimmen zu können.
• Mindestens Paketsprung und Sprung kopfwärts beherrschen.
• Sich unter Wasser orientieren können.
Diese Anforderungen decken sich mit den neuen Prüfungsanforderungen des "Deutschen Schwimmabzeichens" (DSA) in Bronze.
In der Tat sichern diese gestiegenen Anforderungen, dass jemand, der nach der neuen PO „sicher schwimmen“ kann, sicherer ist, als jemand, der dies nach der alten Definition war.
Jeder, der das DSA in Bronze ablegt, ist nun also ein sicherer Schwimmer. Somit wäre die Zielsetzung, der weiteren Entwicklung der Wassersicherheit also erfüllt.
Warum ist die neue PO dennoch eine schlechte Vorgabe für die Entwicklung der Wassersicherheit?
Der BFS geht bei seinen Bemühungen unbewusst von einigen Prämissen aus. Nur wenn sie erfüllt sind, lässt sich die neue PO so umsetzten, wie dies geplant ist.
Diese Prämissen sind:
• Die Schwimmausbildung findet ausschließlich durch qualifizierte Ausbilder statt.
• Die Zahl der zur Verfügung stehenden Ausbilder ist nicht begrenzt.
• Die Menge der zur Verfügung stehenden Wasserfläche ist nicht begrenzt.
• Die benötigte Trainingszeit ist nicht begrenzt.
Schon beim ersten Punkt wird klar, dass dies nicht der Fall ist. Anders als die Ausbildung im Lesen und Schreiben oder der Führerscheinunterricht, findet Schwimmausbildung eben nicht nur, wie in Grund- bzw. Fahrschulen, durch qualifiziertes Personal statt. Schwimmen lernen viele Kinder nach wie vor bei den Eltern. Diese verfügen aber in den meisten Fällen nicht über die nötige Kompetenz. Das Ergebnis reichte bisher in den meisten Fällen dennoch für das „alte Seepferchen“. Beim neuen Seepferdchen scheitern sie hingeben voraussichtlich.
Also doch besser einen Kurs unter fachkundiger Anleitung besuchen?
Hier kommen dann die drei anderen Prämissen Stück für Stück zum Tragen. Die Zahl der Ausbilder und der Wasserfläche ist begrenzt. Zu wenige Ausbilder mit zu wenig Wasserfläche bedeuten, dass es lange Wartelisten von bis zu 24 Monaten gibt.
Da es bisher ausreichte, beim Seepferdchen 25 Meter zu schwimmen (ein Schwimmstil sollte hierbei natürlich zu erkennen sein), muss nun beim Brustschwimmen erkennbar ins Wasser ausgeatmet werden. Sogar Kinder, die das am Beckenrand können, können das, trotz entsprechender Gleitübungen, nicht immer beim Schwimmen auf einer längeren Strecke. Schafften früher geschätzt acht von zehn Schülern ihr Seepferdchen in den durchschnittlich 10 bis 15 Stunden, so ist nun davon auszugehen, dass diese Zahl sinken wird. Wer im ersten Anlauf nicht erfolgreich ist, der benötigt einen zweiten Kurs, was die Wartelisten verlängert.
Einige Anbieter planen darum, ihre Kurse sofort entsprechend zu verlängern. Das wiederum bedeutet aber ebenfalls, dass das Jahr über auch weniger Kurse angeboten werden können, was wiederum die Wartelisten verlängert und so manchen Schwimmschüler wohl doch dazu zwingt, bei den Eltern die Grundlagen des Schwimmens zu erlernen. Unbegrenzt Zeit haben wir also nicht, wenn wir alle Kinder qualifiziert ausbilden wollen.
Längere Kurse bedeuten aber auch, dass die Kosten dieser Kurse steigen. In einem mir bekannten Fall wurden die Preise darum bereits um 25 Prozent angehoben. Bei Preisen, die bisher um die 100 Euro lagen, ist dies für so mache Familie schon viel Geld.
Doch auch für die Ausbilder lohnt sich ein Kurs in einigen Fällen wohl nicht mehr. Mancherorts wird schon darüber nachgedacht, ganz auf den Anfängerschwimmkurs zu verzichten. Und wer künftig sein DSA in Gold in einem Hallenbad beim Personal ablegen will, muss hoffen, dass der Fachangestellte oder Meister volle 30 Minuten Zeit hat, um die 800 Meter Strecke abzunehmen und dabei genau darauf zu achten, dass der Beckenrand nicht berührt wird.
Angesichts der dünnen Personaldecke in manchen Bädern, wird man da wohl immer öfter zu hören bekommen, dass das nicht möglich ist. Um aber das betreffende Abzeichen in einem Verein ablegen zu können, muss man erst einmal einen Platz in einer der Gruppen finden, was in vielen Fällen kaum möglich ist.
Der BFS geht übrigens noch von einer weiteren falschen Annahme aus. Es ist auf keinen Fall so, dass alle Kinder Spaß daran haben, das Schwimmen zu erlernen, und wild auf das nächste Abzeichen sind.
Erst kürzlich wurde in den Medien über eine WHO Studie berichtet, die die mangelnde Bewegung der Kinder zum Thema hatte.
Will man also mehr Kinder dazu motivieren, schwimmen zu gehen, dann ist es kontraproduktiv, die Anforderungen hierzu zu erhöhen und so die Einstiegshürde auf ein Level zu setzten, dass die Kinder vielleicht gar nicht mehr erreichen wollen.
Ich stelle nicht in Frage, dass die gestiegenen Anforderungen im Bereich der Schwimmausbildung zu erreichen sind, wenn gute Ausbilder sich viel Zeit nehmen und mit motivierten Kindern geduldig arbeiten und üben. Doch das ist eine Wunschvorstellung, die es in der Realität so kaum gibt.
Was bedeutet diese neue PO also für die „Entwicklung der Wassersicherheit“?
Wir werden weniger Schwimmabzeichen abnehmen, als in der Vergangenheit. Dafür werden die Kinder, die die neuen Abzeichen „erschwommen“ haben, bessere und sicherere Schwimmer sein, als dies bisher der Fall war. Alle die, die aber keine optimalen Einstiegsmöglichkeiten hatten, also keinen Schwimmkurs bei einem qualifizierten Ausbilder besuchen konnten, entweder weil sie keinen Platz erhalten haben, oder weil es ihren Eltern zu teuer war, einen Kurs zu buchen, werden nach Definition unsichere Schwimmer bleiben.
Das wiederum heißt, dass wir in einigen Jahren weniger gute Schwimmer und eine große Anzahl an potentiellen Nichtschwimmern haben.
Somit ist die neue PO, obwohl sie genau das Gegenteil beabsichtigt, eine Katastrophe für die Schwimmfähigkeit in Deutschland und ein gewaltiger Rückschritt für die Sicherheit am Wasser.
Ich habe mich in den vergangenen Wochen, sowohl in DLRG-Kreisen, als auch bei Mitarbeitern an Bäderbetrieben umgehört. Und dabei waren durchaus Personen, die langjährige Erfahrung haben und in wichtigen Gremien rund um das Schwimmen und Bäderbetriebe mitarbeiten.
Die Ablehnung der neuen PO war so massiv, wie ich es trotz meiner eigenen kritischen Haltung nicht erwartet hätte. Dabei waren einige Bemerkungen über diejenigen, die die neue PO entworfen haben, die ich hier nicht wiederholen möchte. Die härteste Kritik lautete: „Diese Prüfungsordnung tötet unsere Kinder!“
Gemeint war damit, dass die gestiegenen Anforderungen einige gute Schwimmer, aber auch viele Nichtschwimmer schaffen werden. Diese Nichtschwimmer werden dann unter Umständen auf der nächsten Pressekonferenz zum Ertrinken in Deutschland als Zahl in der Statistik auftauchen.
Wir wollen hoffen, dass es nicht soweit kommt. Ich gehe davon aus, dass die PO, so wie sie ab dem 1.1.20 Geltung hat, in zwei bis drei Jahren auf der Grundlage der in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse angepasst wird.
Warten wir es ab.
1 Rezension
Anja Mai
20 Feb 2020
Ich gebe seid `83 Schwimmunterricht für Anfänger. Und mit deinem Bericht triffst du es zu 100%!! Wer denkt sich so ein Mist immer aus? LG